VISIONÄRE KUNST weicht vom Herkömmlichen ab. VISIONÄRE KUNST überwindet etablierte Regeln. VISIONÄRE KUNST stellt Infrage. VISIONÄRE KUNST stiftet Unruhe. VISIONÄRE KUNST kennt keine Grenzen. VISIONÄRE KUNST ist eigenwillig, ungezwungen, unangepasst und ungewöhnlich. VISIONÄRE KUNST ist subversiv, instinktiv und impulsiv. VISIONÄRE KUNST irritiert. VISIONÄRE KUNST wird von uns entdeckt, gezeigt und erforscht. 

VISIONÄRE KUNST weicht vom Herkömmlichen ab. VISIONÄRE KUNST überwindet etablierte Regeln. VISIONÄRE KUNST stellt Infrage. VISIONÄRE KUNST stiftet Unruhe. VISIONÄRE KUNST kennt keine Grenzen. VISIONÄRE KUNST ist eigenwillig, ungezwungen, unangepasst und ungewöhnlich. VISIONÄRE KUNST ist subversiv, instinktiv und impulsiv. VISIONÄRE KUNST irritiert. VISIONÄRE KUNST wird von uns entdeckt, gezeigt und erforscht. 

«ALL IN» – Dora Koster

Dies ist ein leicht veränderter Text, den Stefan Howald bei der Eröffnung der Ausstellung ALL IN am 11. November 2025 im Musée Visionnaire gehalten hat.

 

Liebe Anwesende,

Es freut mich, Sie hier im Musée Visionnaire begrüssen zu dürfen, diesem Ort der Experimente und Kühnheiten. Wenn ich mich umblicke, so sehe ich, dass vielleicht nicht tout Zürich aber doch tout Niederdorf sich hier versammelt hat. Und das ist ja durchaus passend für eine der Figuren dieser breit gefächerten Ausstellung, nämlich für Dora Koster. Manche von Ihnen haben Dora Koster gekannt, sie war ja unübersehbar und auch unüberhörbar. Das Motto dieser Ausstellung, oder besser Installation oder auch Performance heisst ALL IN. Und das galt für Dora Koster, wie wir wissen. Sie war nie halb zu haben. Man musste alle ihre Seiten nehmen. Das war zuweilen schwierig, die Pole ihres Gemütszustands spannten sich ja zwischen überwältigendem Schmerz und ungebärdiger Liebe, zwischen unendlicher Hilfsbereitschaft und rabenschwarzem Zorn.

Manuela Hitz und ihr Team wollen diese Spannung in Leben und Werk vergegenwärtigen. Die Ausstellung enthält verschiedene Artefakte, die Situationen zeigen, aus der die Kunst entsprang, die wiederum das Leben prägte. Da steht zuvorderst die Literatur. Rund 20 Bücher hat Doras Koster geschrieben, aber auch produziert. Sie war ja in ihren Ansprüchen nicht einfach, hat sich mit den meisten VerlegerInnen zerstritten, und hat dann im Eigenverlag publiziert. Später hat sie die meisten ihrer Bücher neu aufgelegt, einfach gedruckt und gebunden, um sie schnell auf der Gasse vertreiben zu können. Das sind sozusagen Raubdrucke der eigenen Werke. Besonders hübsch ist die Ausgabe von «Nur ein Sprung in die Welt». Weil Dora kein Original mehr besass, hat sie ein Exemplar in der Zentralbibliothek Zürich ausgeliehen und dann das Titelblatt abgekupfert, inklusive Katalognummer; das Buch aus der Zentralbibliothek hat sie vermutlich auch gleich mit verkauft, jedenfalls sind in der ZB etliche Bücher nach dem Ausleihen durch Dora Koster als Verluste notiert. Dass ihr Nachlass jetzt in der ZB gelandet ist, stellt einen schönen Kreislauf dar.

Dora Koster hat Hunderte von Gedichten geschrieben, das Schreiben entströmte ihrem Alltag. Wenn das Wort drängte, musste jede Unterlage genügen, das zeigen etwa die Tischsets, die sie beschrieben und grosszügig verschenkt hat. Das ist Alltagspoesie im Wortsinn. Auch die Gemälde waren Ausdruck ihres Kunstwillens und zugleich Lebensunterhalt. Zuweilen musste eines in wenigen Stunden entstehen, um etwas Geld einzubringen, oder etwas Freude für jemanden, den sie damit beschenkte.
Geld, ja, das war ein eigenes Thema. Sinnbildlich steht dafür im Raum ein prunkvolles Schachspiel. Damit hat sie wie mit Backgammon zuweilen ihren Tagesunterhalt finanziert. Dabei war sie durchaus ehrgeizig, es gibt eine Fotografie, die sie an einem Blitzschachturnier gegen einen russischen Grossmeister zeigt, dem sie nicht gerade einen Sieg, aber doch ein Remis abrang. Dann war da natürlich die Musik, ihr Schwyzerörgeli. Handharmonikaspielen hatte ebenfalls eine Doppelbedeutung, einerseits die Lust am Spiel, an der Kreativität, andererseits immer auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, auf die Schnelle etwas Geld zu verdienen. In einem Video sieht man, wie ihr Gesicht beim Spielen in – darf man sagen: kindlicher –  Freude erstrahlt.

Niklaus Stauss

Dora war auch Kunstmanagerin in eigener und fremder Sache. Zu ihren besten Zeiten konnte sie an einem Tag ihre Wohnung ausräumen, die Möbel, das Geschirr verkaufen oder verschenken, und zwei Tage später war die Bleibe neu möbliert, und sie präsentierte eine Matinee samt Kulissen und Catering, das ihr eine Wirtin gegen ein Gemälde geliefert hatte. «Dora» hat zu einem Soziotop im Niederdorf, beziehungsweise zum Soziotop des Niederdorfs gehört. Ihr Spektrum an Bekannten reichte weit, alle Anwohnerinnen und Gewerbetreibenden zählten dazu. Das Spektrum war auch politisch breit, vom SP-Gemeinderat bis zum SVP-Kantonsrat. Wobei sie sich mit allen gelegentlich zerstritt und dann wieder versöhnte, das ging nicht ohne Verletzungen ab. Zu diesem Soziotop gibt es zahlreiche Fotografien, die noch zu erschliessen sind, etwa von Niklaus Stauss, der sie beinahe vierzig Jahre lang fotografisch begleitet hat.

Lange Zeit schrieb Dora Koster ihre Texte auf wechselnden Schreibmaschinen. Mit Computern hat sie es nicht so gekonnt, die waren ihr zu wenig handfest. Dafür hat sie sich dann die Handytechnik unverzüglich einverleibt. In den letzten Jahren verkehrte sie vor allem via SMS. SMS waren für sie eine besondere Kommunikationsform, so schnell, wie sie redete, töggelte sie zuweilen auch ihre Texte herunter. Wenn ein Handy voll war, kaufte sie ein neues; wenn sie eines verlegt hatte, auch. Zu allermeist enthalten sie Alltagsgespräche, schnelle Dialoge, ein halbes Dutzend Nachrichten in einer Viertelstunde, wenn sie nicht schlafen konnte. Doch die Handys waren auch Speichermittel für  Texte, die sie an viele versandte: zunehmend bitter, enttäuscht über die Liebe und die Gesellschaft. Und schliesslich dienten sie als Produktionsmittel fürs aktuelle Schaffen. Darunter finden sich ein paar starke Kurztexte. Wir haben versucht, dieses Kommunkationsgeflecht grafisch abzubilden, im zeitlichen Verlauf die verschiedenen Formen und die Anhäufungen der Texte zu erfassen.

Pascal Sigrist

Ich erlaube mir, mit Aphorismen aus ihrem letzten Buch «Die kleine Schweizerin» zu enden, die wiederum das emotionale und gedankliche Feld aufspannen, in denen sich Dora Koster bewegte: von der scharfen, satirischen Beobachtung der Gesellschaft über die Anklage bis zur elegischen Melancholie und zum Verständnis als selbstbewusste Autorin:

Wer ein goldenes Kalb verspeist
wird niemals satt

Der Dreck an mir
stammt von euren Füssen

Hass trinkt mehr Wein
als es Trauben gibt

Den Hund gabs vor der Leine …

Heimweh zieht schwarze Tapeten
über das Blau des Himmels
Heimweh überschwemmt die Vernunft
Heimweh unweigerlich
die schwerste Fremdsprache
und trotzdem allen verständlich

Wenn ich meckere
bin ich keine Ziege
sondern einfach eine Frau
die sich noch
tierisch ausdrücken kann

Ausdrücken konnte sie sich, tierisch und menschlich. Viel Vergnügen beim Nachlesen und Nachhören dieser unverwechselbaren Stimme.